Wallenstein – Über ein Leitmotiv in Schillers dichterischem und schriftstellerischem Schaffen in Jena
Schillers erstes Jahr in Jena steht weniger im Zeichen der Dichtung als in dem des Geschichtsstudiums. Seine Antrittsvorlesung am 26. Mai 1789, aber auch sein Beitrag für den ersten Band der von Mauke verlegten Sammlung historischer Memoiren und der Universalhistorischen Übersicht nehmen Schiller für das Studium der Geschichte ein. Der überarbeitete Abdruck seiner Antrittsvorlesung in der November-Ausgabe von Wielands Teutschem Merkur weist den Verfasser fälschlicherweise als ‚Professor für Geschichte in Jena‘, nicht etwa als ‚Extraordinarius für Philosophie‘ aus, was ihm nicht nur Ärger mit dem bestallten Historiker Christoph Gottlob Heinrich einbringt. Trotz dieses Ärgernisses hält
Schiller weiterhin Kurs auf seiner akademischen Laufbahn. Sein Ruf dringt zunächst bis nach Leipzig, von wo aus ihm Georg Joachim Göschen noch im gleichen Jahr 400 Taler für einen Beitrag zu seinem Historischen Kalender für Damen anbietet. Der junge Verleger gibt sogleich das Thema vor: ‚Die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs‘. Gleich zu Beginn des neuen Jahres beginnt Schiller mit dem Quellenstudium, im Mai entsteht bereits die Schriftfassung des ersten Teils (Bücher I und II), im September ist sie abgeschlossen. Der Text erscheint im Oktober. Die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs präsentiert sich historiographisch unkonventionell, denn sie orientiert sich nicht an der Rekonstruktion der vier Kriege zwischen 1618-1648. Vielmehr rückt sie die zwei zentralen Gegenspieler, und zwar Gustav Adolf II von Schweden und Graf Albrecht von
Wallenstein, in den Fokus. Beider kriegerisches und persönliches Schicksal wird gleichermaßen entfaltet, wobei das vierte Buch ganz den Intrigen um Wallenstein gewidmet ist. Schillers Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs trifft den Nerv der Zeit. Auch das glücklich gewählte Veröffentlichungsmedium des Kalenders begründet den Publikumserfolg, der nach der Veröffentlichung von Schillers Dramentrilogie Wallenstein im Jahr 1800 noch einmal belebt werden kann. Der erste Teil dieses dramatischen Großprojektes mit dem Titel Wallensteins Lager entsteht unmittelbar nach der Veröffentlichung der Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs in Jena – das Thema bildet ein Leitmotiv von Schillers Schaffen in der Saalestadt.
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Es ist beachtlich, dass sich der Dichter und der Schriftsteller Friedrich Schiller gerade auf dem Gebiet der Geschichte treffen. Als Dichter schreibt der zum Extraordinarius der Philosophie avancierte Schiller am 12. Januar 1791 an seinen Freund Körner:
Es ist mir jetzt wieder noch einmal so wohl, denn […] [es] bewegt sich wieder der Plan zu einem Trauerspiel in meinem Kopfe, und ich habe einen Gegenstand für abgerissene poetische Momente. Lange habe ich nach einem Sujet gesucht, das begeisternd für mich wäre, endlich hat sich eins gefunden und zwar ein historisches.
Was sich 1791 noch als glückliches Ergebnis einer mehr oder weniger systematischen Suche nach einem poetischen Sujet interpretieren lässt, profiliert sich sieben Jahre später als
Programmatik. So schreibt Schiller am 5. Januar 1798 an Goethe:
Ich werde es mir gesagt seyn laßen, keine andre als historische Stoffe zu wählen, frey erfundene würden meine Klippe seyn. Es ist eine ganz andere Operation das realistische zu idealisieren, als das ideale zu realisieren, und letzteres ist der eigentliche Fall bei freien Fictionen. Es steht in meinem Vermögen,
eine gegebene bestimmte und beschränkte Materie zu beleben, zu erwärmen und gleichsam aufquellen zu machen, während daß die objective Bestimmtheit eines solchen Stofs meine Phantasie zügelt und meiner Willkühr widersteht.
Die Diskussion mit Goethe Anfang Januar 1798 zeigt, dass die Wahl historischer Stoffe als dichterisches Sujet konstitutiv für Schillers
Selbstbestimmung als Dichter im klassischen Jenaer Jahrzehnt ist.
Mit der Bearbeitung des Wallenstein-Stoffes zwischen 1791 und 1799 konkretisiert sich diese Bestimmung und macht den Weg frei für Schillers späte Dramen: Maria Stuart (1800), Die Jungfrau von Orleans (1801), Die Braut von Messina (1803) und Wilhelm Tell (1803/04).
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